CONRAD GESSNER
NOMENCLATOR AQUATILIUM ANIMANTIUM, 1560
ORDNUNG IM AQUARIUM
Conrad Gessners „Nomenclator aquatilium animantium“, was übersetzt „Benenner der Wassertiere“ heisst, erschien 1560 als handliche Überarbeitung seines vierten „Thierbuchs“, des lateinischen Fischbuchs.
Während Gessner in den anderen Thierbüchern die Tiere in alphabetischer Reihenfolge beschreibt, geht er im Fischbuch bzw. im Nomenclator systematisch vor. Er unterscheidet Meerwassertiere von Süsswassertieren und stellt Ordnungen auf, die sich vorrangig am äusseren Erscheinungsbild der Tiere orientieren. Auch die durch abenteuerliche Berichte und Bilder bekannten Ungeheuer finden ihren Platz. Am Ende des Buchs folgen Tiere, die sowohl im Wasser wie auch auf dem Land leben.
Jede Abhandlung setzt mit der Benennung des Tiers in verschiedenen Sprachen ein. Es folgen Schilderungen der Lebensart, der äusseren Erscheinung und des Charakters. Abschliessend geht Gessner auf die Verwendung als Nahrungsmittel oder Medikament ein. Jedes Wassertier ist auf einem Holzschnitt zu sehen, wohl einer der Hauptgründe, dass die Thierbücher und der Nomenclator so beliebt waren. Nur wenige Bilder stammen von Gessner selber. Zahlreiche Gelehrte aus ganz Europa schicken ihm Zeichnungen und Beschreibungen, wofür sich Gessner im Vorwort bedankt.
DAS HILFREICHE NETZWERK
Gessner hatte nur während eines Studienaufenthalts in Montpellier 1540 und im Sommer 1543 in Venedig einige Meerfische nach eigener Anschauung abgezeichnet. Er arbeitete also hauptsächlich vom Schreibtisch aus. Um die Meeresbewohner beschreiben zu können, stützte er sich auf rund 500 Publikationen ab. Zusätzlich versandte Gessner 1548 eine Suchliste mit Tiernamen an sein Gelehrtennetzwerk. Sobald eine Darstellung eintraf, erhielt der entsprechende Tiername ein Sternchen.
Der Medizinprofessor Guillaume Rondelet stellte Gessner sein Werk „Libri de piscibus marinis“ (1554/1555) für das Fischbuch zur Verfügung, und Gessner übertrug rund 80% der Holzschnitte. Aus dem Werk „De Aquatilibus“ des Naturforschers und Arztes Pierre Belon (1553) entnahm Gessner ebenfalls zahlreiche Illustrationen. Auch in seinen Texten liess sich Gessner von Rondelets und Belons Werken leiten.
Doch Gessner sammelte nicht nur Beschreibungen und Bilder, sondern auch echte Tiere, die ihm sein Netzwerk zum Teil aus entfernten Ländern zusandte. Das so entstandene Naturalienkabinett nannte Gessner sein «Museum».
STADTARZT ODER NATURFORSCHER?
Conrad Gessner stammte aus einer armen Familie. Seine Laufbahn verdankte er der Unterstützung durch Zwingli und dessen Schüler Heinrich Bullinger. Nach einer frühen Heirat mit Barbara Singysen musste er allerdings seine Studien abbrechen und als Lehrer arbeiten. Nach erneuten Bittschriften wurde ihm ein Medizinstudium in Basel ermöglicht, das er jedoch 1537 für eine Griechischprofessur in Lausanne unterbrach. Im Herbst 1540 kehrte er für wenige Monate nach Basel zurück, um sein Studium zu beenden. Anschliessend hielt Gessner Vorlesungen am Carolinum in Zürich und brachte 1545 die „Bibliotheca universalis“ heraus, eine der ersten gedruckten Bibliografien.
Nach dem Tod des Stadtarztes von Zürich 1552 bewarb sich Gessner als einziger akademischer Arzt auf die ersehnte Stelle. Ausgerechnet von seinem Förderer Bullinger wurde er mit den Worten abgelehnt: „Aber der sehr berühmte Herr Dr. Konrad Gessner hält lieber Vorlesungen und geht seinen wissenschaftlichen Publikationen nach, als dass er die Klagen der Kranken anhört.“ Die Stelle ging vorerst an den Chirurgen Jacob Ruff. Gessner wurde erst zwei Jahre später zum Stadtarzt ernannt. Da Ruff beinahe sämtliche stadtärztlichen Tätigkeitsbereiche beibehielt, blieb Gessner Zeit für eigene Forschungen. In diesen Jahren entstanden die Thierbücher und der Nomenclator.
1558 beförderte ihn der Stadtrat zum Canonicus und hob sein Einkommen an. Gessner erweiterte sein Haus mit einem Obergeschoss, dessen 15 Glasfenster er mit Wassertieren bemalen liess. Dort starb er 1565 an der Pest.
EIN PANOPTIKUM DER TIERE
Gessner wurde durch seine naturkundlichen und sprachwissenschaftlichen Werke bekannt, vor allem durch seine Thierbücher, die „Historia animalium“. Mit diesem Mehrbänder wollte er das „unermessliche Reich der Schöpfung“ so vollständig wie möglich in Wort und Bild erfassen. Aristoteles folgend, unterteilt Gessner sämtliche Lebewesen in sechs Hauptgruppen: Lebendgebärende Vierfüsser, eierlegende Vierfüsser, Vögel, Wassertiere, Schlangen und Insekten.
Im Gegensatz zu Naturforschern wie Pierre Belon beschreibt Gessner auch Tiere, die wir heute als Fantasiewesen bezeichnen. Eine Vielzahl dieser wundersamen Wassertiere kopierte Gessner aus der Carta marina von Olaus Magnus, einer frühen Karte Nordeuropas. Obschon er deren Existenz teilweise selbst bezweifelte, nahm er sie doch in seine Enzyklopädie mit auf.
Die Bedeutung des Nomenclators liegt vor allem in der Benennung der Tiere in verschiedenen europäischen Sprachen. Gessners Wortschöpfungen wurden vielfach übernommen, womit er die zoologische Nomenklatur nachhaltig prägte.