PARACELSUS
DER GROSSEN WUNDARTZENEY, ca. 1563
FÜR WUNDÄRZTE UND FELDCHIRURGEN
Das Werk "Der Grossen Wundartzeney", auch in der Schreibweise "Wundartzney", erschien erstmals 1536. Die vorliegende Ausgabe stammt vermutlich aus dem Jahr 1563. Sie umfasst zwei Teile. Der erste Teil trägt den Titel: „... der Leib und Wundartzney Doctoris, von allen Wunden, Stich, Schüß, Brent, Thierbißz, Beinbrüch ...“, der zweite: „Von der offnen Schäden ursprung und heylung“.
Die Wundartzney beschreibt sämtliche Arbeitsbereiche des Wundarztes und – im Kriegsfall – des Feldchirurgen. Dazu gehören Behandlungen von Tierbissen, Beinbrüchen, Verbrennungen und Verätzungen sowie Schussverletzungen, weiter die spezifische Therapie der „Frantzösischen Blattern“, einer der Syphilis zugeordneten Seuche, und generell von äusseren Geschwüren.
Diese zwei ersten Teile der Großen Wundartzney sind die beiden einzigen, umfangreicheren medizinischen Schriften, die noch zu Lebzeiten von Paracelsus erschienen. Sie kamen dem Bedürfnis der Chirurgen nach schriftlichen Anleitungen in der Landessprache nach, überzeugten durch einfache Rezepturen und vermutlich auch durch die scharfe Abgrenzung gegenüber den gelehrten Ärzten.
EINE NEUE KRANKHEITSLEHRE
Trotz Wanderschaft und Armut verfasste Paracelsus zahlreiche theologische und medizinische Werke, darunter das „Volumen medicinae paramirum“, das „Opus Paramirum“, „Paragranum“ und die „Philosophia Sagax“. Seine Theorie entsprach nicht der vorherrschenden Lehre.
Statt vier Säften, die den Elementen, Jahreszeiten, Gestirnen und Qualitäten entsprechen, entwickelte Paracelsus ein anderes, komplexeres Konzept. Er ging von fünf „Enzien“ aus und entwarf eine Krankheitslehre, die auf drei Prinzipien, dem brennenden Sulfur, dem flüchtigen Merkur und dem festigenden Sal beruht. Von den Ärzten fordert Paracelsus, dass ihre Medizin auf vier Säulen stehe. Die erste sei die „Philosophia“, die Kunde der Naturstoffe, die zweite die „Astronomia“, die das Universum als Makrokosmos mit dem Menschen als Mikrokosmos verbindet, die dritte „Alchimia“ als eine Kunst, aus Naturstoffen das wirksame Heilprinzip zu gewinnen, und die vierte „Virtus“, die Tugend, die dem Arzt die Liebe Gottes zusichert.
Durch die Kritik an dogmatischen Lehrmeinungen, das religiös geprägte Berufsethos und die alchimistischen Rezepte fand Paracelsus Anhänger, die sogenannten „Paracelsisten“ und später die „Iatrochemiker“, während die Ärzte der Aufklärung ihn mehrheitlich ablehnten. Im romantischen Deutschland des 19. Jahrhunderts kam es erneut zu einer Paracelsus-Begeisterung, und in der Zeit des Nationalsozialismus wurde Paracelsus sogar zum Sinnbild des idealen deutschen Arztes stilisiert, wozu seine antijüdischen Aussagen beitrugen. Bis in die Gegenwart spaltet Paracelsus seine Leserschaft in Anhänger und Gegner.
EINST STADTARZT IN BASEL
Paracelsus ist ein Humanistenname, den sich Theophrastus von Hohenheim als Autor zulegte. Er kam wahrscheinlich um die Jahreswende 1493/1494 zur Welt. Datum und Ort seiner Geburt sind nur schemenhaft bekannt. Von der Mutter ist nichts überliefert. Der Vater Wilhelm war Arzt und stammte aus einem niederadeligen Geschlecht in der Nähe von Stuttgart. Die Kleinfamilie hatte zuerst in der Umgebung des Klosters Einsiedeln gewohnt. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts zogen Vater und Sohn nach Villach in Kernten. Paracelsus genoss eine Ausbildung bei verschiedenen Geistlichen. Nach eigenen Angaben studierte er anschliessend Medizin „bei den Deutschen, Italischen, Frankreichischen“. Die Niederlassung in Salzburg kam wegen Verdächtigungen im Zusammenhang mit den Bauernkriegen nicht zustande. Paracelsus nahm als Feldarzt an kriegerischen Auseinandersetzungen teil.
Nachdem er den Buchdrucker Johannes Froben 1527 in Basel von einem Beinleiden geheilt und damit einen Förderer gefunden hatte, wurde Paracelsus als Professor der Medizin und als Stadtarzt in Basel eingesetzt. Seine Vorlesungen hielt er bald schon in Deutsch und verbrannte Bücher im St. Johannisfeuer. Lange konnte sich der unkonventionelle Arzt nicht halten. Mit dem Tod seines Förderers Froben verlor er jede Unterstützung, gerichtliche Auseinandersetzungen folgten. 1528 floh Paracelsus aus der Stadt. Verbürgt sind Aufenthalte im Elsass und in Deutschland.
1535 beschrieb Paracelsus das Bad Pfäfers. Nach weiteren Wanderungen, die ihn durch verschiedene Teile Europas führten, traf er in Salzburg ein. Dort starb er 1541 und wurde bei der Salzburger Kirche St. Sebastian beerdigt.
DERB, AUFMÜPFIG UND RELIGIÖS
Paracelsus wirkte als Arzt und Theologe. Im Werk vermischen sich diese Identitäten: Sein ärztliches Ethos und seine medizinischen Konzepte sind von tiefer Religiosität geprägt. Er baut seine Heilkunde auf der Natur als Gottes Werk auf.
Paracelsus steht gewissermassen zwischen Mittelalter und Neuzeit. Einerseits ist seine tief religiöse Haltung geprägt vom mittelalterlichen Bild des Lebens als Jammertal auf Erden. Anderseits wird er als Neuerer und radikaler Reformator wahrgenommen, der mit einer fast zweitausendjährigen medizinischen Denktradition bricht. Seine deutliche, derbe und oft anschuldigende Sprache entsprach seiner Verbitterung und seinem Kampfgeist. So wird auch die Benennung von Paracelsus als einem „Luther der Medizin“ verständlich.
Die wortgewaltige Auflehnung gegen die dogmatischen Universitäten und ihre gelehrten Ärzte konnte die vorherrschende Humoralpathologie nicht zum Einsturz bringen. Dennoch kommt Paracelsus bei der Einführung der chemischen Arzneimittel eine zentrale Rolle zu. Als authentische, unkonventionelle und kämpferische Persönlichkeit spaltete er die Geister, gestern wie heute. Es ist wohl nicht nur das Verdienst seiner medizinischen oder theologischen Konzepte, sondern vielmehr die Folge seines einzigartigen Auftretens, seiner biografischen und literarischen Spuren, dass sein Name bis heute nicht vergessen ging.